2011: Landwirtschaftspolitik aus Frauensicht
Die Landwirtschaft in der Schweiz ist von Männern bestimmt. Die das sagt, weiss wovon sie spricht. Ruth Streit, neun Jahren Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen und Landfrauenverbandes, ist im Vorstand des Schweizer Bauernverbandes die einzige Frau unter 17 Männern. An der von WIDE und der NGO-Koordination post Beijing organisierten Podiumsdiskussion diskutierte sie mit der Bio-bäuerin und Nationalrätin Maya Graf und Tina Goethe von SWISSAID über die neue Agrarpolitik der Schweiz. Fazit: Den Bäuerinnen hat diese Agrarpolitik bisher nur wenig zu bieten. Und: Auch die Arbeits- und Lebensbedingungen von Bäuerinnen in Entwicklungsländern müssen berücksichtigt werden.
Arbeiten Bäuerinnen überhaupt?
Die so genannte AP 2014-2017 war just zwei Tage vor der Tagung in Vernehmlassung geschickt wor-den. Auf den 310 Seiten des ‚erläuternden Berichts‘ ist der Situation der Frauen eine Seite gewidmet. Dort werden die Bäuerinnen der Sozialpolitik zugeordnet, deren Belange nicht ins Landwirtschaftsgesetz gehören. Fakten über Bäuerinnen als Wirtschaftsakteure sucht man in dem Bericht vergebens. Die Teilnehmerinnen des Podiums hatten Schätzungen parat, exakte Statistiken gibt es dazu bisher keine: 2.5 Prozent der Betriebe werden von Frauen geführt und lediglich drei Prozent des Landes ist in Frauenbesitz. Was die Gleichstellung in der Landwirtschaft betrifft, ist die Schweiz 30 Jahre in Verzug.
Das hat sehr konkrete Folgen: wirtschaftlich, sozial, psychologisch. Frauen arbeiten zwar auf Hof und Betrieb, die Entscheidungen und vor allem das Geld liegen aber bei den Männern. Und was in der Landwirtschaft als Arbeit anerkannt – und damit bei Direktzahlungen berücksichtigt wird (!) – ist durch den männlichen Arbeitsalltag definiert. Tätigkeiten wie Direktvermarktung oder Gemüseanbau im Garten – oft von Frauen geleistete Arbeiten – fallen aus dieser Definition heraus und werden nicht als ‚Arbeit‘ berechnet.
Südfrüchte im Angebot
In Entwicklungsländern leisten Frauen 43 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeiten. In einigen Län-dern Afrikas sind es gar bis zu 60-80 Prozent der Arbeiten. In Bezug auf Besitz und Entscheidungs-spielraum sieht es für sie jedoch sehr ähnlich aus wie in der Schweiz. Als angestellte Arbeitskräfte in der Produktion von Gemüse oder tropischen Früchten erhalten Frauen weniger Lohn als Männer und meist nur Teilzeit- oder Saisonverträge. Arbeitsrechte, Auflagen für den Umweltschutz und den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen sind tief, was den Produktions- und Handelsfirmen ermöglicht, die Preise niedrig zu halten, und u.a. auch in der Schweiz billige Lebensmittel anbieten zu können.
Hier zeigt sich, wie eng die Landwirtschaft in der Schweiz mit der Situation in Entwicklungsländern verknüpft ist. Ein weiteres Beispiel sind die Sojaim-porte aus Südamerika für die hiesige Fleischproduktion. Jüngst haben fünf Standesinitiativen der Kantone aus der Romandie soziale und ökologische Kriterien für die Einfuhr von Lebensmitteln verlangt. Und obwohl im Nationalrat erfolgreich, haben die Initiativen wohl kaum Chancen, sich gegen WTO-Vorschriften durchzusetzen. Die neue Agrarpolitik will denn auch lieber die Verantwortung für Umwelt und Menschenrechtsanliegen an die Konsumentinnen delegieren. ‚Nachhaltiger Konsum‘ soll gefördert werden. Doch die Information der Konsumentinnen über die Produktionsbedingungen stösst irgendwann an Grenzen. Eigenverantwortung ist wichtig, kann jedoch politische Regelungen nicht ersetzen.
Der Fünfer und das Weggli
Die Agrarpolitik verlangt von den Schweizer Bäue-rinnen und Bauern Wettbewerbsfähigkeit. Doch mit wem und worin genau soll dieser Wettbewerb stattfinden? Wie soll das mit den Auflagen im Bereich Umwelt- und Tierschutz vereinbar sein? Und ist die Versorgung mit nachhaltig produzierten Lebensmitteln tatsächlich mit Marktmechanismen und ‚Unternehmertum‘, wie sie die Agrarpolitik verlangt, zu erreichen? Maya Graf, die die Stossrichtung der neuen Agrarpolitik begrüsst, warnt davor, Ökologie und Produktion gegeneinander auszuspielen. Ruth Streit fragt sich jedoch, ob die verschiedenen Zielsetzungen in der Agrarpolitik überhaupt miteinander vereinbar seien. Hier wolle das Bundesamt wohl eher „den Fünfer und das Weggli“.
Lokale Märkte stärken
Die Bäuerinnen verstehen sich als Lebensmittel-produzentinnen für die Schweizer Bevölkerung. Das muss klar im Mittelpunkt stehen. Weder soll die Schweiz Produkte einführen, die auf Kosten der Arbeiterinnen und der Umwelt in Entwicklungslän-dern gehen, noch sollen Exporte aus der Schweiz die Märkte für die lokalen Produzentinnen kaputt machen. Wenn es also gelänge, die Produktion wieder stärker auf den lokalen und regionalen Markt zu orientieren, wäre damit eigentlich allen Bäuerinnen – weltweit – gedient. Das Podium und die Teilnehmerinnen der Tagung – rund die Hälfte übrigens Bäuerinnen – waren sich einig: Wären an der Ausgestaltung der Agrarpolitik 2014-2017 mehr Frauen beteiligt gewesen, würde sie anders aussehen.