Tag der Menschenrechte
Der CEDAW-Ausschuss veröffentlichte im Oktober 2022 in seinen abschliessenden Bemerkungen rund 70 Empfehlungen zur Umsetzung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) an die Schweiz. Die NGO-Koordination post Beijing Schweiz koordinierte das Berichterstattungsverfahren seitens der Schweizer NGOs und hat im aktuellen Monitoring-Zyklus zur Umsetzung von CEDAW mit der Veröffentlichung ihres Schattenberichts zur Formulierung der Empfehlungen beigetragen. Auch lobbyierten Vertreter*innen während der 83. CEDAW-Session in Genf für die Themen der Mitgliedorganisationen und beantworteten dem Expert*innenausschuss anlässlich eines Lunch-Briefings Fragen.
Die NGO-Koordination begrüsst die Empfehlungen in deren Vielfalt. Es zeigt sich deutlich, dass viele Forderungen vom Ausschuss aufgegriffen wurden. Dieser bemängelt unter anderem, dass die Gleichstellung noch nicht erreicht ist und zwischen den Kantonen grosse Diskrepanzen in der Umsetzung der Konvention bestehen. Damit es in der Schweiz substanziell mit der Gleichstellung vorwärts geht, müssen aus Sicht der NGO-Koordination endlich insbesondere die Empfehlungen betreffend verbesserte CEDAW-Kenntnisse ganz allgemein und von Fachpersonen im Besonderen, Quoten als vorübergehende Massnahmen, Verhinderung und Beseitigung diskriminierender Geschlechterstereotypen, Gender Budgeting, Lohngleichheit, Integration der Geschlechterperspektive in die nationale Digitalisierungsstrategie und das Verbot von Hassreden aufgrund von Sexismus und Frauenfeindlichkeit umgesetzt werden. Als wesentliche Grundlage für Änderungen erachtet die NGO-Koordination auch die geforderte Verbesserung der Datenlage. Wegen fehlender nach Geschlecht aufgeschlüsselter Statistiken sind viele Benachteiligungen schlecht belegbar und entsprechend Massnahmen nicht einfach zu fordern und ergreifen.
Inclusion Handicap hatte in Zusammenarbeit mit avanti donne die Situation und Rechte von Frauen und Mädchen mit Behinderungen in der Schweiz im Schattenbericht der NGO-Koordination post Beijing Schweiz dargestellt und auf Missstände aufmerksam gemacht. Der veröffentlichte Bericht enthält konkrete Empfehlungen. Im Bereich Arbeit empfiehlt der Ausschuss beispielsweise temporäre Spezialmassnahmen wie Quoten zur Förderung der Frauen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt. Er sieht zudem eine spezifische Armutsgefährdung von Frauen mit Behinderungen und empfiehlt, den Zugang zu adäquaten Invalidenrenten sicherzustellen. Bezüglich Sterilisationen bekräftigt der CEDAW-Ausschuss die Empfehlung des UNO-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom März 2022 und sagt klar: Zwangssterilisationen gehören verboten. Zurzeit läuft eine Petition von avanti donne zu diesem Anliegen.
Im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte werden von der Mitgliedorganisation Sexuelle Gesundheit Schweiz die folgenden Empfehlungen als zentral angesehen: Zugang zur SRHR-Gesundheitsversorgung für alle (56 a-d); freier Zugang zu Verhütung (56b); Massnahmen gegen Stereotypen in der Bildung (52 a-c), im Rahmen von Kampagnen, Datenerhebung, Gesetzesänderungen (38a-f); Massnahmen gegen FGM (40a-b); alle Massnahmen im Zusammenhang mit gender-based violence (25/26/42 a-g); Revision des Sexualstrafrechts: Nur «Ja heisst Ja» (42d); Änderung von Artikel 50 AIG, um sicherzustellen, dass alle Frauen, die Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt sind, ihren misshandelnden Ehepartner verlassen können, ohne ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren (42f); Massnahmen gegen Menschenhandel und zur Unterstützung von Opfern von Menschenhandel (44a-e); Massnahmen im Kontext von Sexarbeit (46); Ressourcen für Implementierung von LGBTI+Rechten (32b); Schutz der sexuellen Rechte von Menschen mit Behinderungen (58a-c).
InterAction Schweiz, Mitglied der NGO-Koordination, zeigt sich sehr erfreut über 56(d): Das CEDAW empfiehlt der Schweiz, geschlechtsverändernde Massnahmen an intergeschlechtlichen Kindern spezifisch zu kriminalisieren, soweit Massnahmen nicht verhältnismässig sind. Die Mitgliedorganisation Transgender Network Switzerland (TGNS) begrüsst, dass das Komitee ausreichende – und damit explizit zusätzliche Ressourcen – für kantonale LGBTI-Gleichstellungsarbeit empfiehlt. Dem kann nur zugestimmt werden: Aktuell finanziert sich diese wichtige Arbeit grösstenteils mit privaten Geldern und ehrenamtlichem Engagement. Dieser Missstand wurde vom Ausschuss erkannt und muss nun behoben werden – durch den Staat und nicht durch die diskriminierten Gruppen selbst. TGNS bedauert allerdings, dass das Komitee selbst nicht mehr Empfehlungen zu den Rechten von trans Menschen abgegeben hat.
Dagegen distanzierte sich die feministische Kommission des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, ebenfalls Mitglied bei der NGO-Koordination, explizit von der CEDAW Empfehlung 60a. Der CEDAW-Ausschuss empfiehlt dort die Abschaffung des Koordinationsabzugs als Lösung für die Bekämpfung der Armut bei Frauen. Aus Sicht der SGB Frauen ist dies jedoch keine Lösung für Frauen in prekären Arbeitsbedingungen, um die es bei der Altersarmutsbekämpfung geht. Bei tiefen Lebenserwerbseinkommen verschlechtert sich das Rentenvorsorgeniveau der Betroffenen, da sie einen Teil der höheren BVG-Beitragslast zusätzlich tragen müssen – ihr Nettolohn sinkt. Sie werden im Alter nicht bessergestellt und bleiben somit weiterhin von Ergänzungsleistungen abhängig.
In der kommenden Zeit wird die NGO-Koordination mit ihren Mitgliedorganisationen das zivilgesellschaftliche Monitoring aufbauen und den Stand der Umsetzung der Empfehlungen verfolgen.